“Wie könnt Ihr ein offenes Netz verantworten?”

Vor kurzem schrieb uns jemand, dass er an sich gerne bei uns mitmachen würde, aber Bedenken bestünden, damit eventuell böse Dinge zu unterstützen. (In der konkreten Anfrage ging es um “Kinderpornographie”, aber es lassen sich ja noch viele andere Dinge denken, die man gerne verhindern würde.) Außerdem wurden wir gefragt, wie wir eine solche Nutzung vermeiden. Da die Antwort recht ausführlich wurde, möchten wir sie Euch nicht vorenthalten.

Um ganz klar die Frage zu beantworten: wir vermeiden eine solche Nutzung nicht. Unser Ziel ist ein freies, anonymes unzensiertes Netz für jeden. Und “jeder” schließt leider auch Verbrecher ein. Wir sind aber überzeugt, dass wir der Gesellschaft mit einem offenen Netz insgesamt viel mehr nutzen, als ein Schaden entsteht.

Das Netz ist ein Kommunikationsmittel, das insbesondere die Möglichkeit zu Meinungsaustausch, Bildung und gesellschaftlicher Teilhabe bietet, und als solches erst einmal positiv für den Einzelnen und die Gesellschaft insgesamt. Im Vergleich dazu sind die durch freie Kommunikation entstehenden Schäden zwar vorhanden, aber weit geringer einzuschätzen. Man überlege sich nur einmal, wie viel wahrscheinlicher es ist, dass jemand ein offenes Netz nutzt um z.B. seine Mails zu checken oder eine Karte der Gegend herunterzuladen als z.B. ein Betrugsdelikt zu begehen oder Aufnahmen von Kindesmissbrauch zu verbreiten. Genauso wie es wohl jeder als ethisch einwandfrei ansehen würde, jemandem, der einen auf der Straße danach fragt, den Weg zu einer Bank zu weisen, obwohl er vorhaben könnte, sie zu überfallen, ist es also auch moralisch einwandfrei (wenn nicht sogar geboten), der Allgemeinheit Zugang zum Netz zu ermöglichen.

Es sind Maßnahmen denkbar, die wir treffen könnten, um einen Schaden zu reduzieren, nämlich Zensur und De-Anonymisierung. Wie wir im Einzelnen erläutern werden, sind sie aber ungeeignet, unverhältnismäßig, und verursachen selbst großen Schaden. Deshalb verzichten wir darauf.

1. Wir könnten zensieren.

Damit würden wir – oder jemand anderer wie der Staat, den wir zensieren lassen – grundsätzlich darüber entscheiden, was die Menschen sehen dürfen und was nicht. Das richtet sich gegen die Informationsfreiheit des Einzelnen, seine Möglichkeit zur freien Meinungsbildung, und damit die politische Freiheit der gesamten Gesellschaft. Und natürlich werden einmal existierende Zensurbefugnisse (auch wenn sie zunächst mit politischen Fragen nichts zu tun haben) leicht ausgeweitet: auf Straftaten (wie illegales Glücksspiel), Pornographie, missliebige politische Gruppen (in Deutschland z.B. zuerst Nazis)… Das ist dann Internet wie in China und im Iran. Das wollen wir nicht. Das Grundgesetz übrigens auch nicht:

“Eine Zensur findet nicht statt”.

Selbst wenn man das anders sieht und meint, dass in Einzelfällen Zensur gerechtfertigt sein könnte (“Kinderpornographie!”…), ist sie auch technisch nicht sinnvoll umzusetzen:

1a. Wir könnten nach Inhalten zensieren.

Es müssten “verbotene” Inhalte automatisch erkannt werden, was oft selbst für Menschen schwierig genug ist. Mit großem, teurem Aufwand ließen sich in den Datenströmen bestimmte, vorher bekannte Bilder etc. herausfiltern. Zensur nach Inhalten lässt sich durch Verschlüsselung aber in jedem Fall kinderleicht vollständig aushebeln.

1b. Wir könnten nach Adressen zensieren.

Bei der einen Zensurmaßnahme, die technisch leicht umsetzbar wäre, nämlich diverse Möglichkeiten, bestimmte URLs zu sperren, wäre es für Strafverfolgungsbehörden – die die Adressen ja kennen müssten, um eine Zensur durchführen oder vorschreiben zu können – viel leichter, den zum Beispiel “Kinderpornographie” anbietenden Server ausfindig zu machen, abzuschalten und dabei nebenbei auch noch die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Außerdem gibt es auch hier diverse und triviale Umgehungsmaßnahmen.

2. Wir könnten die Anonymität aufheben und eine Registrierungspflicht einführen.

Zunächst hat Anonymität eine enorme befreiende Wirkung, die wir unbedingt auch in Freifunk verwirklicht sehen wollen. Die Möglichkeit zur anonymen und unüberwachten Kommunikation ist wesentlich für die Freiheit einer Gesellschaft, weil sie gewährleistet, dass Kritik und Organisation von Gegenöffentlichkeit (z.B. in politischen und gesellschaftlichen Fragen) nicht durch Überwachung und Repression unterdrückt werden können. Deshalb versuchen repressive Regime auch durchweg, den anonymen Zugang zu Kommunikationsmitteln einzuschränken. Die Wichtigkeit einer anonymen Öffentlichkeit für die Demokratie hat auch der Gesetzgeber erkannt und die Diensteanbieter wie uns sogar dazu verpflichtet, anonymen Zugang bereitzustellen: §13, Absatz 6 des Telemediengesetzes lautet:

“Der Diensteanbieter hat die Nutzung von Telemedien und ihre Bezahlung anonym oder unter Pseudonym zu ermöglichen, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist. Der Nutzer ist über diese Möglichkeit zu informieren.”

Neben dieser grundsätzlichen Überlegung würde De-Anonymisierung in einem Umfang, der tatsächlich Potential hat, zur Verbrechensbekämpfung zu taugen, Freifunk praktisch unbenutzbar machen (z.B. persönlich vorsprechen lassen und Personalausweis prüfen – wer tatsächlich Verbrechen begehen will, würde wohl auch kein Problem haben, sich mit falschem Namen, Ausweiskopien etc. anzumelden). Der große Vorteil ist doch, dass man solche umständlichen Anmeldeprozeduren eben nicht braucht – nur dadurch wird es zum Beispiel für Touristen interessant.

Es gibt außerdem noch viele andere Methoden, um sich faktisch anonym in Internet zu bewegen, unter anderem sind mir spontan eingefallen:

  • beliebige Zugänge mit kommerziellen Anonymisierungsdiensten, anonym bezahlt
  • beliebige Zugänge mit Anonymisierungsdiensten wie TOR
  • gebrauchte Mobiltelefone und Prepaid-Simkarten aus anonymer Quelle oder Prepaid-Simkarten von Anbietern, die den Namen nicht besonders genau prüfen
  • andere absichtlich offene Netz-Zugänge, etwa in Cafés, Bibliotheken, Bundesministerien etc.
  • unabsichtlich schlecht gesicherte Netze knacken und missbrauchen (das dauert bei WEP-Verschlüsselung z.B. nur wenige Minuten)

Wer also kriminelle Energie hat, hat sowieso die Möglichkeit, sich anonym im Netz zu bewegen. Mit uns spart er dafür ein paar Stunden, wenn er sich noch einlesen müsste, ansonsten Minuten – das wird für ihn auch keine Hürde sein. Es entsteht also praktisch kein gesellschaftlicher Schaden durch das Angebot anonymer Zugänge.

Für die normale Bevölkerung ist die Hürde aber ganz erheblich. Wir lassen sie ganz weg, damit jeder Einzelne und die Gesellschaft insgesamt von den Vorteilen eines freien, anonymen und unzensierten Netzes profitieren kann. Davon sind wir absolut überzeugt.

8 thoughts on ““Wie könnt Ihr ein offenes Netz verantworten?””

  1. Strategisch kein schlauer Schachzug, dein Text.
    Du begibst dich in die Defensive.

    Wahrscheinlich verhallt dein Beitrag ungehört, aber wenn das “normale” Leute lesen die sich überlegen ob sie Freifunk nun in Erwägung ziehen sollen oder nicht, dann verstehen sie wahrscheinlich die Aussage als “wir könnten was gegen Verbrecher (Kinderpornographie!) tun, wollen das aber nicht, weil dies Zensur wäre”.

    Die Verkürzung ist fatal (und falsch), aber sie ist ziemlich üblich und gewöhnlich. Niemand will auch nur in den vaagen Verdacht geraten Kinderpornographie zu unterstützen.

    Mal sehen, ob ich dieser Tage Zeit habe, einen eigenen Text zu schreiben. (Wahrscheinlich ist’s nicht, leider.) Ich würde die Vorteile und die faszinierende Idee die dem Freifunk-Netz innewohnt klar machen wollen – dabei auch, warum man damit eben nicht kriminelle Energie, sondern kreative Energie freisetzt!

    1. Das sehe ich anders. Die (schlechten) Argumente der Gegenseite sind ja schon da und gehen nicht weg, wenn man sie ignoriert. Dagegen muss man sich verteidigen.
      Natürlich sollte das nicht das Einzige sein, was man zum Thema Freifunk sagt, aber alle Aspekte in jedem Text behandeln zu wollen, scheint mir auch nicht unbedingt eine sinnvolle Idee zu sein.

      1. Ich formuliere mal anders: was du schreibst, stimmt. Wie du es formulierst und den Text strukturierst, lädt leider zur Verkürzung auf “Kipo!1!11!” ein.

        Übrigens, die “Gegenseite” ist kein ‘Gegner’. Die meisten Leute wollen das gleiche wie wir: Freiheit statt Angst. Aber sie wollen eben auch keine Verbrecher unterstützen, und sind bereit dafür Kompromisse zu machen. Wie weit diese Kompromisse aber heute schon gehen, ist ihnen meistens nicht klar – auch post-Snowden.

        1. Die Gleichung “unüberwachte Netze = Terror + KiPo” wird aber permanent von den Innenministern dieser Welt in die Welt geblasen. Das ist eine Gegenseite, die auch tatsächlich ein Gegner ist, und deren Aussagen man aufgreifen und widerlegen muss. Sonst redet man nur aneinander vorbei, und einen Schreiwettbewerb mit denen können wir nicht gewinnen.
          Das sieht man auch daran, dass die Bedenken bei Freifunk-Interessenten schon vorhanden sind. Die Mail, die ausdrücklich nach “Kinderpornographie” fragte, war auch keine rhetorische Fiktion, sondern kam tatsächlich bei uns an und war der Grund, die Antwort zu schreiben.

          Wenn Du aber konkrete Änderungsvorschläge hast, wie man den Artikel ändern kann, so dass er für die von Dir gesehenen Verkürzungen weniger anfänglich ist, freue ich mich darauf – schick sie einfach an unsere Kontaktadresse.

  2. Welchen Sinn macht es, die Vielfalt an Möglichkeiten aufzuzeigen, wie man überwacht und zensiert, wenn man keine Zensur will?

    Kennst Du den Spruch:

    Denke nicht an einen blauen Elefanten.

    Danach denkt jeder an den blauen Elefanten und hat ihn vor Augen.
    Du willst aber doch, dass man eben nicht an den blauen Elefanten denkt!

    Vielleicht verstehst Du jetzt, was ab diesem Text schlecht, gefährlich und unnötig ist :-)
    Mein Vorredner hat einen Hinweis gegeben, wie man es “besser” machen kann…

    1. Es gibt jeweils zwei Kategorien von Gründen gegen Maßnahmen (wie hier Zensur und Überwachung): grundsätzliche und konkrete Überlegungen. Ich stimme Dir zu, dass die grundsätzlichen Überlegungen wichtiger sind und dass die wesentliche politische Auseinandersetzung dort zu führen ist. Und es besteht auch die Gefahr, dass man die grundsätzlichen Überlegungen vor lauter Konzentration auf irgendwelche Details vergisst, wenn man nicht genug darauf hinweist. Deshalb habe ich den Text noch einmal leicht überarbeitet, um sie prominenter darzustellen. Trotzdem sind die konkreten Gründe auch wichtig – sie können nämlich auch Leute überzeugen, die weniger liberale Einstellungen haben. Ich hoffe, es wird jetzt klar genug, dass unsere Ablehnung von Überwachung und Zensur AUCH aus konkreten Gründen nicht heißt, dass wir sie grundsätzlich schon in Ordnung fänden.

  3. Es wird eine Möglichkeit nicht betrachtet:

    Völlig ohne eine eindeutige Identifizierung aller Nutzenden zu implementieren, könnte im konkreten Einzelfall trotzdem Ermittlungsbehörden geholfen werden.

    Szenario: Ermittlungsbehörde sagt:

    “Am so und so vielten um X Uhr wurde von einer Ihrer IPs auf $Dienst zugegriffen und begangen. Wir haben schon verstanden, dass sie ein anmeldefreies Netz für jedermann betreiben, aber könnten Sie bitte, wenn $Pattern wieder auftritt, uns die Möglichkeit geben Traffic mitzuloggen, die MAC-Adresse zu bestimmen, den Knoten zu lokalisieren über den der Nutzende eingewählt ist, …”

    Wie sollten Freifunk-Admins darauf reagieren? Das gefährdet nicht grundsätzlich das (anmelde-)freie Netz für jeden.

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