Gestern erreichte uns die Meldung, die Regierungskoalition habe sich darauf geeinigt, die Störerhaftung für offene WLANs endlich zu beseitigen. Was heißt das, und was bedeutet das für Freifunk?
Die Störerhaftung
Störerhaftung bedeutet hier, dass der Inhaber eines Internetanschlusses abgemahnt werden kann, falls Andere, denen er Zugang zum Netz verschafft hat, beispielsweise Urheberrechtsverletzungen begehen. Dahinter steht die Vorstellung, dass Zugang zum Internet grundsätzlich statt einer Chance zur Kommunikation als Risiko einer Rechtsverletzung zu bewerten wäre. Diese Rechtsauffassung Deutscher Gerichte ist weltweit einzigartig und hat dafür gesorgt, dass es in Deutschland ein Haftungsrisiko ist, als Privatperson ohne Absicherung, wie sie Freifunk bietet, ein offenes WLAN zu betreiben.
Die Folge war traurig für die Entwicklung eines solidarischen digitalen Gemeinwesens: die Anzahl offener WLANs blieb weit hinter denen anderer Industrienationen zurück. Ende 2014 gab es beispielsweise in Südkorea 20 mal so viele offene WLANs pro Einwohner wie in Deutschland, in Grossbritannien 15 mal so viele.
Das Providerprivileg
Dabei ist im Telemediengesetz schon seit langem geregelt, dass Telekommunikationsdiensteanbieter nicht von der Störerhaftung betroffen sind. Das ist sinnvoll: wer Anderen einen Internetzugang zur Verfügung stellt, hat keine Kontrolle darüber, was diese damit tun – aus Datenschutzgründen darf er auch gar nicht kontrollieren. Ihn für die Handlungen des Nutzers verantwortlich zu machen wäre also höchst ungerecht.
Hauptsächlich für Internetprovider gedacht (deshalb heißt diese Regelung auch Providerprivileg), schützt der Wortlaut des Gesetzes eigentlich auch Privatpersonen, die Anderen Zugang zum Netz verschaffen und damit als Miniatur-Internetprovider agieren. Das haben die Deutschen Gerichte leider lange nicht zur Kenntnis genommen.
Der Regierungsentwurf von 2015
Gerade als sich in einigen Gerichtsentscheidungen abzeichnete, dass die Rechtsprechung dieses Argument in Zukunft endlich berücksichtigen würde, preschte die Bundesregierung im März 2015 mit einem desaströsen Gesetzentwurf vor, der angeblich das Ziel hatte, die Verbreitung offener WLANs in Deutschland zu fördern.
Er stellte zwar klar, dass Anbieter offener WLANs definitiv von der Störerhaftung ausgenommen sein sollten – aber nur wenn das Netz verschlüsselt ist und außerdem auf einer Vorschaltseite alle Nutzer erklären, nichts Böses zu tun. Beides hilft überhaupt nicht gegen das Problem des Missbrauchs, schränkt die Nutzer aber entscheidend ein. Zudem sollten ursprünglich private WLAN-Betreiber gegenüber kommerziellen dadurch schlechtergestellt werden, dass sie die Namen der Nutzer kennen sollten. Dies hätte private offene WLANs letztlich unmöglich gemacht, wurde aber nach drei Monaten zurückgezogen, weil es gegen EU-Recht verstoßen hätte.
Entsprechend vernichtend fiel die Kritik aus. Der Professor für Internetrecht Thomas Hoeren bezeichnete den Gesetzentwurf als “eine Unverschämtheit“.
Auch wir haben versucht, in Gesprächen mit Bundestagsabgeordneten, darunter Thomas Oppermann, Lars Klingbeil (beide SPD), Jürgen Trittin (Grüne) und Fritz Güntzler (CDU) unsere Argumente vorzubringen, um den Gesetzentwurf durch die Streichung dieser Einschränkungen so zu verbessern, dass das angestrebte Ziel, offene WLANs in Deutschland alltäglich zu machen, auch tatsächlich erreicht werden kann.
Leider konnte sich unsere Ansicht in der Regierungskoalition nur teilweise gegen die Befürchtung durchsetzen, man würde mit einer de-facto-Angleichung der Rechtslage an den Stand, wie er in allen anderen industrialisierten Staaten immer schon der Fall war, dem Verbrechen Tür und Tor öffnen. Die SPD schien deutlich aufgeschlossener als die CDU/CSU, aber nach über einem Jahr Stillstand konnte man den Eindruck gewinnen, hier wäre von der Regierungskoalition nichts mehr zu erwarten.
Das EuGH-Verfahren
Schließlich kam durch ein Gerichtsverfahren Bewegung in die Sache. Das Mitglied der Piratenpartei Tobias McFadden war abgemahnt worden, weil jemand über ein offenes WLAN in seinem Laden illegales Filesharing betrieben hatte. Er zog vor Gericht und argumentierte vor dem Landgericht München, dass unter anderem eine Störerhaftung in dieser Situation durch EU-Recht ausgeschlossen sei. Das Landgericht gab diesen Punkt daraufhin zur Entscheidung an den Europäischen Gerichtshof ab.
Im März gab der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof seinen Schlussantrag zu diesem Fall ab – die Störerhaftung sei unverhältnismäßig. Der EuGH ist zwar nicht an die Anträge des Generalanwalts gebunden, folgt dessen Argumentation aber in einer großen Mehrheit der Fälle.
Ein Urteil steht zwar noch aus, aber es schien, dass das EuGH der Störerhaftung ein Ende machen würde.
Wohl nicht zuletzt, um der Bundesregierung die Peinlichkeit zu ersparen, dass ihr Gesetzesvorhaben vom EuGH gekippt werden könnte, bevor es je in Kraft treten würde, ermahnte Bundeskanzlerin Angela Merkel in dieser Situation die Regierungsparteien, endlich zu einer Einigung zu kommen.
Unter diesem Druck dauerte es nur eine Woche – anscheinend war die Argumentation der Befürworter der Störerhaftung vom EuGH so unterminiert, dass sie ihren Widerstand nicht aufrechterhalten konnten.
Ein greifbares Ende?
Wie aus den Regierungsfraktionen zu hören war, gab es gestern die Einigung, dass das Providerprivileg für WLAN-Betreiber im Telemediengesetz explizit festgeschrieben werden soll.
Man hört, das Gesetzgebunsverfahren solle nur noch wenige Wochen in Anspruch nehmen.
Sollte dies tatsächlich so geschehen, freuen wir uns sehr über diese längst überfällige Entwicklung. Nach einigen Enttäuschungen über Anläufe von Teilen der Politik, das Abmahnunwesen zu bekämpfen, ist unser Enthusiasmus allerdings vorerst noch gedämpft. Letztlich wird es auf den Wortlaut des neuen Gesetzes ankommen, ob der Störerhaftung nicht doch noch ein Schlupfloch geboten wird.
Beispielweise könnten WLAN-Betreiber im Falle von Missbrauch Unterlassungsansprüche treffen, die wieder zu Abmahnungen führen könnten. Sollte dies nicht explizit im zu schaffenden Gesetz, ausgeschlossen werden, steht uns eine weitere langwierige politische Auseinandersetzung bevor. Es ist daher nur zu hoffen, dass dieser Punkt bereits Eingang in den zu erarbeitenden Gesetzentwurf findet oder gefunden hat.
Was bedeutet das für Freifunk?
Sollte die Störerhaftung für offene WLANs tatsächlich fallen, wäre das für Freifunk sehr positiv. Ist die Abmahngefahr gebannt, könnten wir den Betreibern von Freifunk-Knoten beispielsweise eine Option anbieten, Internetverkehr statt durch unsere VPNs (die hauptsächlich der legalen Umgehung der Störerhaftung dienen) direkt ins Internet zu leiten. Das hätte vier entscheidende Vorteile:
- sind die VPNs ein Flaschenhals von Freifunk, ohne sie dürfte sich die Geschwindigkeit der Verbindung also in vielen Fällen stark erhöhen
- bedeutet das Bereitstellen der VPNs für uns und unsere Freunde von Freifunk Rheinland Kosten und Arbeit für Server und Bandbreite, die sich deutlich reduzieren würde
- wären besonders leistungsfähige Freifunk-Zugänge, wie sie beispielsweise in Geflüchtetenunterkünften oder Freibädern benötigt werden, einfacher und billiger zu realisieren.
- Das Freifunk-Netz würde dezentraler, was der ursprünglichen Idee von Freifunk besser entspricht
Und nicht zuletzt können Privatpersonen in Zukunft ein WLAN auch ohne Freifunk öffnen, ohne Angst vor Abmahnungen zu haben. Dabei müssten sie zwar auf nette Features wie unser automatisches Mesh-Netz verzichten, aber es entfallen (die geringen) Kosten und Arbeit (vor allem der Informationsaufwand) der Einrichtung eines eigenen Freifunk-Knotens. Und mehr offene Netze sind ja etwas Tolles für alle!